Kopfhörer Endgame

Der Urknall

Kopfhörer sind schon so eine Sache. Der eine liebt sie, ein anderer hasst sie aber für die meisten sind die kleinen Kopflautsprecher doch nur ein gewöhnlicher Gebrauchsgegenstand, der irgendwo in einer Tasche vergraben die meiste Zeit herumexistiert. Ich gehöre ganz klar zur ersten Kategorie. Denn nur Kopfhörer schaffen diese unglaublich intime Atmosphäre und das unabhängig davon, wo man sich gerade befindet. Die Raumeigenschaften spielen, insbesondere bei gut isolierenden Kopfhörern, nahezu keine Rolle. Der erste Kopfhörer, der mir irgendwie im Gedächtnis geblieben ist, war Mitte der 90er ein Vivanco. An das genaue Model kann ich mich nicht erinnern. Aber das Teil hatte einen Sound, wie ich ihn vorher so noch nicht gehört hatte. Ich kannte bis dahin nur die mitgelieferten Kopfhörer von Walkmans/Discmans. Diese kleinen schwarzen Teile mit dem silbernen Bügel und den Schaumstoff-Polstern. Die gibt’s auch heute noch in Flugzeugen zu kaufen. Der Vivanco hatte einen satten Sound mit Lautstärkerregulierung am Kabel und, damals noch viel wichtiger, einen Schalter für „Super Bass“. Denn die Eurodance Sachen, die ich damals hörte, waren recht dünn abgemischt. Der Kopfhörer erlag dann recht schnell einem Kabelbruch und das Thema hatte sich erstmal erledigt. 2002 erstand ich im Media Markt einen Sony MDR V300. Der beeindruckte mich damals ungemein und ich glaubte, viel mehr geht da nicht. Erst nachdem ich einige unterschiedlich DJ-Kopfhörer durchprobiert hatte erkannte ich da einiges an Potenzial. Mein erstes wirkliches Highlight war 2010 ein AKG K701. Von da an waren Kopfhörer für mich mehr als nur ein Gebrauchsgegenstand – sie wurden zu einer Leidenschaft.

Was hatte ich nicht alles schon auf dem Kopf. Unterschiedliche Modelle jeweils von: AKG, Audeze, Beyerdynamic, Fostex, Hifiman, Klipsch, KRK, Oppo, Pioneer, Sennheiser, Sony, Stagediver, Stax, Shure, Technics und Ultrasone + die, an die ich mich nicht mehr erinnern kann. Von diesen gefühlt 100 unterschiedlichen Modellen sind mir einige wenige ans Herz gewachsen. Das sind ganz klar die Elektrostaten der Firma Stax (SR-207 bis SR-507, SR-007), die Magnetostaten von Hifiman (HE-4, HE-6, HE-500), AKG (K181 DJ, Q701), Audezes Magnetostaten (LCD-2, LCD-3), Fostex (TH-900), Sennheiser HD-25 sowie der Stagediver SD-2. Mein absoluter Liebling aber ist der Sennheiser HD800. Den hörte ich mal im Hifiladen in Berlin und es war Liebe auf den ersten Ton.

It’s coming home

Der HD800 ließ mich seit dem nie los. Irgendwann nun hatte ich mal Glück ihn günstig und in super Kondition in den ebay-Kleinanzeigen zu schießen. Als ich den Hörer endlich mal wieder aufsetzen konnte, entstand auch gleich dieses tolle Gefühl, den richtigen gefunden zu haben. Allerdings fehlte mir etwas am Sound das in Berlin nicht fehlte und mich fast dazu brachte den Sennheiser wieder zu verkaufen. Was ich in den nächsten Wochen erst herausfinden musste, war, dass der HD800 sehr wählerisch in der Auswahl eines geeigneten Kopfhörerverstärkers ist. Ja, richtig, mit einem Kopfhörer allein ist es nicht getan. Schon gar nicht bei einem so feinen Gerät wie dem HD800. Das Thema war mir allerdings schon bekannt, da die Hifimänner damals um 2011 nicht anders waren und spezielle Kopfhörerverstärker mit richtig Bumms am Ausgang brauchten. 2 Watt in 50 Ohm war die Mindestanforderung! Nun höre ich mit dem Sennheiser ausschließlich Konserven vom PC. Also benötigt man noch einen hochauflösenden Digital zu Analog Wandler. Kurz DAC. Ich hatte bereits Erfahrungen mit den Teilen von Audioquest – Dragonfly, Meridian Explorer – 1 und 2, Musical Fidelity – irgendwas, ifi nano IDSD und Rega. Mal abgesehen von dem Rega-DAC konnte keiner der eben genannten Wandler den Sennheiser zum glänzen bringen und den Rega-DAC besitze ich schon eine Weile nicht mehr. Man merkte einfach, dass das nicht alles sein kann, was der HD800 zu leisten vermag. Erst die Kopfhörerverstärker/DAC-Kombi in Form des aune T1SE MKIII zeigte eine zufriedenstellende Lösung. Das Teil sieht auch noch hübsch auf dem Schreibtisch aus und ist ein Röhrenhybrid. Also ein Teil des integrierten Verstärkers wird über eine Elektronenröhre realisiert. Das läd zum experimentieren ein. Denn Röhren unterscheiden sich etwas im Klang je nach Hersteller. Natürlich habe ich getestet. Eine Empfehlung war eine 6N23P-EV. Die passt für mich perfekt und löst deutlich besser auf als die im Lieferumfang des T1SE mitgeführte Electro Harmonix.

Glühende Verstärkung

Die Wandlung stimmte nur der Sound war noch nicht rund. Ein für mich zu helles Klangbild und zu wenig Bühne. Gerade die Bühne war doch die Paradedisziplin des HD800. Obwohl ich anfänglich gar keine Lust darauf hatte, wieder mit Kopfhörerverstärkern zu experimentieren, machte es am Ende doch wieder einfach nur Spaß. Ich hatte ja bereits Bekanntschaft mit den Verstärkern von Lake People / Violectric gemacht und so fiel meine Wahl auch gleich auf diese. Erstmal den kleinen geordert, den Lake People G103 S und ja, es wurde ein Stück besser. Die Tonalität schob sich etwas in meine gewünschte Richtung und der Detailreichtum wuchs. (btw bekommt der G103 meine vollste Empfehlung für den Preis) Nun war die Überlegung den großen G109 P oder doch die Premiummarke Violectric in Form der HPA V100 und V200? Der Violectric HPA V200 gilt ja als die top Empfehlung für den HD800. Irgendwie wurde ich aber das Gefühl nicht los, dass ein Transistorverstärker nicht das ist, was ich suche. Da fiel mir der Cayin HA-1A ein, den ich mit einem Freund damals in Berlin hören konnte. Ein wunderschöner Röhrenkopfhörerverstärker mit unglaublichen Leistungsreserven. Und ja, genau der sollte es werden. Die Kombination aus dem Röhrenhybrid aune T1SE MKIII + Cayin HA-1A + Sennheiser HD800 erfüllt alle meine Vorstellungen. Perfekte Tonalität gepaart mit einer realen Bühnendarstellung und sehr hohem Detailreichtum ohne den Fokus zu sehr auf die ganzen Mikrodetails zu lenken. Was für mich der Vorteil eines Röhrenamps im Vergleich zu Transistorenamps ist, ist ganz klar die authentischere Wiedergabe. Ein Transistoren Verstärker erklingt irgendwie zu technisch für meinen Geschmack. Wie soll ich das ausdrücken? Er klingt sauberer und punchiger als ein Röhrenamp. Viele mögen das. (Eine CD gibt auch ein technisch besseres Signal wieder als eine Schallplatte. Trotzdem macht die Schallplatte einfach mehr richtig für meinen Geschmack als digitale Konserven.) Ich finde auch, dass gerade in Bezug auf handgemachte Musik, diese nicht technisch klingen soll. Also nicht nach dem Motto, wir als Hersteller zeigen was möglich ist. Ich versuch es mal so: bis ein Lied den Weg auf den eigenen Rechner/Handy/DAP gefunden hat, durchläuft es viele technische Stationen. Angefangen vom Mikrofon in das gesungen wird, über das Mischpult, Effekte, Kompressoren, Bandsättigung, Samplingratenkonvertierung und und und. Da wird dann mit viel technischem Aufwand versucht, gerade Stimmen, in eine bestimmte Richtung zu drücken. Eben, mit viel technischem Aufwand. Bei einem richtig guten Transistoramp wird mir dieser technische Einsatz viel deutlicher bewusst. Der HD800 zeigt dir das einfach. Ein Röhrenamp ist in der Darstellung der Transienten weicher, er klingt wärmer, nimmt der Stimme das kühle technische etwas ab – kommt näher zurück an den Ursprung. Hinzu kommt, dass so ein Röhrenamp „lebt“. Der muss ja erstmal etwas auf Temperatur kommen, um möglichst gut zu klingen. Wenn kein Sound spielt und ich die Kopfhörer schon auf habe, weil ich einfach nicht warten will, höre ich regelrecht wie der HA-1A sich bereit macht. Da gibt es vereinzelt leise Töne, die nach einem Glöckchen klingen. Das hat wohl mit der Mikrofonierung der Röhren und der Ausdehnung durch Wärme zu tun. Das hat irgendwie was. Ich vergleiche gerne mit High-Res Aufnahmen, die ich mit einem Zoom H1 gemacht habe, von Stimmen, die ich nahezu täglich höre. Dadurch kann ich Equipment sehr gut einschätzen. Egal ob Kopfhörer oder Lautsprecher. Nichts klang bis zum HD800 + HA-1A so nah an der Wirklichkeit! Das gehörte wirkt teils so real, dass meine Fußsohlen anfangen im Takt der Bassdrum zu krabbeln. Man kennt das von Konzerten oder dem Clubbesuch wenn der Boden resoniert. So sehr wird mein Körper verarscht. Ich finde das beeindruckend und auch witzig.

Wo Sonne scheint, da fällt auch Schatten

Klar gibt es auch an dieser traumhaften Kombination negative Kritikpunkte für mich.

  • der pekuniäre Aufwand ist nicht ohne, aber das haben Hobbies so an sich
  • das Kabel des HD800 ist störrig und nervig
  • auch wenn der HA-1A hier viel geholfen hat neigt der Kopfhörer bei spitzen Aufnahmen etwas zum zischeln bei Sibilanten
  • der HA-1A ist ein Class-A Verstärker – ergo er brauch viel Strom und wird richtig warm / fast heiß
  • der Kopfhörerverstärker hat ein klar erkennbares Grundrauschen
  • Elektronenröhren haben eine deutlich begrenzte Lebenszeit

Das sind alles Dinge mit denen ich klar kommen muss und auch will. Der Genuss entschädigt und lässt diese Punkte nahezu verschwinden. Noch ein paar Worte an die Leute, die glauben, dass es keine klanglichen Unterschiede bei Elektronenröhren oder Verstärkern gibt. Ich sag nur „a wire with gain“, sucht euch ein anderes Hobby. Ich verstehe diese Einstellung nicht. Wie langweilig wäre die audiophile Welt, wenn alles nach Objective2 klingen würde. Natürlich feintunen die Hersteller ihre Produkte um vom Sound her ein gewisses Publikum anzusprechen. Die einzigen zwei Verstärker, die ich beim besten Willen damals am Hifiman HE-500 nicht auseinander halten konnte waren der Violectric HPA V100 und der größere V200. Sonst höre ich persönlich immer Unterschiede bei DAC, Elektronenröhren oder Kopfhörerverstärkern. Die sind natürlich klein im Vergleich zu zwei unterschiedlichen Kopfhörern. Manchmal habe ich auch einen schlechten Tag und  höre weniger heraus. Entweder sind die Ohren etwas taub, die Konzentration weg oder zu viel „Lärm“-Smog. Am besten klingen offene Kopfhörer immer noch nachts. Mal drauf achten.

 

attix Verfasst von:

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