Sensorische Dissonanz
Es gibt Dinge, die sterben einfach nicht aus. Schallplatten, Maßschneidereien, Vollformatkameras mit Wechselobjektiven, Edel-Confiserien oder handgefertigte Musikinstrumente. Obwohl schon längst durch günstige, kompakte, digitale Lösungen für die breite Masse ersetzt, dienen sie doch weiterhin Kunden mit einem qualitätsbewussten Anspruchsverhalten abseits des gängigen Konsens. Man könnte es auch so formulieren: Etwas allgemeiner Komfortverzicht für ein gesteigertes Nutzererlebnis. Warum nicht den Hochzeitsanzug bequem von der Stange wählen, wenn der aufwändig maßgeschneiderte passt wie angegossen? Weshalb nicht zur sofort verfügbaren Gitarre aus dem Musikhandel greifen, wenn der gelernte Gitarrenbauer das Teil zwar langwierig fertigt, dafür jedoch perfekt nach den eigenen Bedürfnissen stimmen kann? Weil man so etwas Besonderes erhält, ein bestimmtes Gefühl vermittelt bekommt. Einzig pekuniäre Gründe verhindern oftmals den Schritt zum ganz großen Glück.
Beispiel Smartphones. Sie ersetzten in den letzten Jahren immer mehr Hardware. Egal ob Laptop, Fotoapparat, Mp3-Player, EC-Karte oder Bücher. Alles kompakt auf einem rechteckigen Gerät in Hosentaschengröße. Für 95% der User sind das Handling und die qualitativen Ergebnisse in diesen Bereichen damit vollkommen ausreichend. Platz- wie Kostenersparnis die ausschlaggebenden Kriterien. Die anderen 5% suchen mit spezialisierten Geräten den Qualitätssprung und die Handhabung zweckoptimierter Hardware. Am häufigsten wahrscheinlich für Bildaufzeichnungen. Mit einer gescheiten Kamera + lichtstarkem Objektiv bläst man jegliches Smartphone noch immer vom Tisch. Ich selbst bin vermutlich wieder so ein Extremfall. Auch wenn die allermeisten Leute gern am „Handy“ herumwerkeln, nervt mich die Art der Bedienung mittels wischen über eine Glasscheibe. Das Smartphone stellt für meine Wenigkeit somit nur eine Notlösung jeglichen Einsatzzweckes dar. Fotografieren damit ausschließlich, wenn ich keine meiner Cams griffbereit habe, surfen im Netz oder Texte verfassen tue ich viel lieber mit PC-Maus + Tastatur und Musik genießen unterwegs nur über einen meiner DAPs. Ich weiß, nicht jeder der das auch will – kann. Ich wünschte, es wäre so.
DAP!? Was genau ist denn ein DAP? DAP steht für Digital Audio Player. Also ein kompaktes, einzig dem Musikhören nach entworfenes Gerät. Sowas erscheint heute wie ein Relikt aus der Vergangenheit. Natürlich bekomme ich mit besagtem Smartphone die Musik ins Ohr aber eben nicht so gut. Für Audiophile, zu denen auch ich mich zähle, ist so ein mobiler High-End Musikplayer der heilige Gral auf Reisen. Speziell im Urlaub kann man damit in ruhigen Stunden, ohne klangliche Einbußen, genüsslich seiner Leidenschaft frönen. Technik, die in ihrer Komplexität nur eine bestimmte Aufgabe erfüllen soll, geht schlicht weniger Kompromisse ein. Die Hersteller können aus dem Vollen schöpfen. Das fängt beim Design an, führt sich im Bedienkomfort fort und schafft Freiräume im vielschichtigen Elaborieren der Klangqualität. Die ist es auch, welche im wesentlichen Fokus bei einer Kaufabsicht liegt. Mit dem gesteigerten Klangpotenzial soll sich die Anschaffung eines zusätzlichen, wie hochpreisigen Geräts nun mal rechtfertigen.
Persönlich nutze ich DAPs seit mittlerweile neun Jahren. Der erste Zugang war ein iBasso DX90, welchen ich, dank des austauschbaren Akkus, auch heute noch gern nutze. Der hat schon sooo viele Betriebsstunden hinter sich, war auf etlichen Reisen mit und ist immer noch zuverlässig wie ein Schweizer Uhrwerk. Klanglich hat mir der DX90 immer gemundet. Vor zwei Jahren kam aus Neugierde noch ein HiBy R3 Pro Saber dazu. Bis zu dessen Erwerb, haben mich DAPs mit festverbautem Akku immer abgeschreckt. Leider gibt es heute schlicht keine Alternative mehr dazu. Das ist äußerst bedauerlich! Danach gesellten sich noch ein Sony NW-A105, sowie ein Fiio X1 dazu. Abgesehen vom DX90 alles Geräte, die nicht gerade die Bank sprengen und eher für robuste Umgebungen gedacht waren, weniger als Utensil auf Reisen. Nun bekam ich Wind von einem neuen Player auf dem Markt, welcher schnell meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Statt des üblichen Solid State-Aufbaus besitzt jener zusätzlich Elektronenröhren. Der Name: N3-Ultra von der Firma Cayin.
Der Hersteller Cayin ist mir nicht unbekannt. Wenn ich dessen Name lese, denke ich sofort an Röhrengeräte. Damit verbunden ist meine damalige Erfahrung mit einem Spark Audio HA-1A Kopfhörerverstärker, über den ich im Jahr 2018 HIER schrieb. Die Firma hat sich als chinesischer Hersteller hochwertiger Audioprodukte, mit besagter Röhrentechnik, einen guten Ruf in der audiophilen Szene erarbeitet und befindet sich in feiner Gesellschaft anderer sinologischer Hersteller. Auralic, Aune, iBasso and many more. Es kommt halt nicht nur Billigramsch aus Fernost.
Da nun kürzlich ein Urlaub in Potsdam anstand, war es die perfekte Gelegenheit um einen neuen DAP nutzen zu können. Ein glücklicher Kaufmoment in den Kleinanzeigen erwirkte einen soliden Rabatt auf ein Neugerät und somit landete ein Exemplar in meinen Händen.
Variable Konstanz
So, nach dem ganzen einleitenden Vorgeplänkel kommen wir zum eigentlichen Protagonisten des Artikels. Zum N3-Ultra. Er ist der Nachfolger des recht erfolgreichen N3-Pro und bildet weiterhin den Einstieg in das Player-Segment der Röhren-DAPs von Cayin. Der röhrenverstärkte N3-Pro mit einem Preis um die 500$ war vor drei Jahren ein Novum. Die Preise für diese Art von DAPs liegen gern deutlich darüber. Für einen N7 aus selben Hause werden 2.000€ fällig und den edlen N8ii bekommt man erst ab stolzen 3.500€. Die limitierte Sonderedition des N30LE im Bundle mit dem hauseigenen Amber-Pearl IEM lag bei saftigen 13.000€! Das liegt in der Natur der Sache. Röhrentechnik in einem Gerät zu verbauen, welches gerade mal unwesentlich größer als ein Smartphone dimensioniert ist, ist ein Stück weit aufwändig. Die Idee und Umsetzung finde ich absolut genial. (Selbstverständlich gibt es auch DAPs mit ausschließlich Solid State-Aufbau in schwindelerregenden Preisregionen.)
Nicht jede Elektronenröhre ist als Bauteil für einen kompakten Player geeignet. Viele Typen werden im Betrieb sehr warm um korrekt zu funktionieren oder sind schlicht zu groß. Sowas lässt sich in einem DAP schlecht verwenden. Cayin entschied sich daher für den Einbau von zwei NOS Raytheon JAN6418S Miniaturröhren. Also neue/unbenutzte Tubes aus alten Lagerbeständen (New Old Stock) nach Qualitätsstandards des Militärs (Joint-Army-Navy Military Grade). Diese werden in einem aufwändigen Auswahlverfahren durchgemessen und anhand ihrer Messwerte gepaart (sog. tube matching), da sie pro Kanal Implementierung finden sollen. Dieser Röhrentyp besitzt nur eine geringe Größe und strahlt kaum Wärme ab. Trotz der passenden Eigenschaften der JAN6418 beherbergen diese dennoch zwei Schwachpunkte – 1. Mikrofonie bei Bewegungen der Röhre, sowie 2. eine hohe Empfindlichkeit gegenüber Funksignalen. Mikrofonie bei Tubes macht sich als Klirr- oder Klingelgeräusche im Audiosignal bemerkbar, wenn die Elektronenröhre Erschütterungen ausgesetzt ist. Da das bei einem mobilen Player nun eine permanente Begleiterscheinung ist, wurden für den N3-Ultra extra Silikonmuffen entwickelt, in denen die Röhren ruhend, auftretende Vibrationen wegdämpfen. Das funktioniert so gut, dass ich während meines Testzeitraums im Urlaub keinen Mikrofonie-Effekt wahrgenommen habe. Einstrahlungen von Funksignalen begegnete die Firma mit einem resoluten Weg -> sie lässt schlicht und einfach alle funkende Bauteile weg. Der N3-Ultra besitzt somit weder Wi-fi noch Bluetooth. Die Röhren sind im Player festverbaut und nicht austauschbar. Ihnen wird eine Lebensdauer von mehreren 1.000h beschieden. Der Hersteller gibt hier gar ~ 10.000h an. Es kann, laut Aussage eines Cayin-Offiziellen auf dem Portal Head-fi.org, in seltenen Fällen vorkommen, dass mal eine Röhre ihren Weg in die Player findet, die trotz der peniblen Qualitätsprüfung, innerhalb weniger Wochen ausfällt. Diese wird auf Garantie von Cayin getauscht. Wir reden hier schließlich von Tubes die zwar unbenutzt, jedoch 40 Jahre und älter sind.
Der Cayin DAP bietet abgesehen von den Tubes natürlich auch einen Transistor-Signalpfad. Der DAC (Digital Analog Converter), welcher das digitale Signal in ein analoges für den Kopfhörer umwandelt, arbeitet mit einem AKM AK4493S-Chip. Ein technisch bis 32bit und 22,4Mhz (DSD) extrem hochauflösender Audiochip mit großem Rauschabstand und verschwindend geringem Klirrfaktor. Wer den N3-Ultra kauft, wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aber für den Röhrensound entscheiden.
Neben einer ausgezeichneten Klangwiedergabe ist auch der Bedienkomfort bei DAPs ein wichtiges Kriterium. Als Betriebssystem findet ein modifiziertes Android 8.1 Verwendung. Es ist optimal auf den Einsatzzweck angepasst worden. Alles lässt sich übersichtlich auffinden und der scharfe 4.1″ Touchscreen (1280×720) reagiert sehr flüssig. Die Rechenarbeit dafür erledigt ein Qualcomm 425 Prozessor. Die aktuelle Firmware befindet sich in der Version 1.30. Seit dem Release des Players im März kam fast monatlich eine neue Versionsnummer raus, die immer kleine Verbesserungen mit sich brachte. Ich habe natürlich auch gleich ein Update durchgeführt. Den Prozess dazu findet man HIER. Mir persönlich gefallen immer richtige Buttons zur Bedienung. Die seitlich angebrachten, mit denen man die Titelwiedergabe steuert, haben einen angenehmen Druckpunkt. Das Volume-Rad, um die Lautstärke zu regeln, fasst sich ebenfalls gut an.
Anschlussseitig finden sich neben einer USB-C Buchse, ein Card-Slot für MicroSD (bis 1TB), ein 3,5mm Line-Out, ein 3,5mm Headphone-Out, sowie eine symmetrische 4,4mm Line-/Headphone-Out Kombo-Buchse. Der symmetrische Ausgang haut max. 600mW bei 32Ohm raus. Mittels USB-Anschluss kann der DAP auch als DAC am PC eingesetzt werden. Ebenso wird der N3-Ultra hierdurch geladen. Eingangs bereits von mir moniert, beinhaltet auch der Cayin-DAP einen festverbauten Akku, welcher hier eine Leistung von 4.500mAh zur Verfügung stellt und damit Energie für ~ 10h liefert. Das ist nicht sonderlich viel, reicht aber in den meisten Fällen aus.
Timbre Eleganz
Nach der Inspektion seiner Komponenten, stellt sich doch endlich die Frage: Wie klingt der Player denn nun?
Cayin hat dem DAP drei unterschiedliche Timbres (Klangfarben) mitgegeben. Beurteilen tue ich diese mit einem InEar Stagediver SD-4 am symmetrischen Ausgang des DAP. Dieser Out hat soviel Power, dass ich die niedrigste der drei Gainstufen wählen muss und mich nicht über 40% traue, da hier bereits meine Schmerzgrenze überschritten ist. Der Ausgang ist zudem von Kopfhörer- auf Line-Out umschaltbar und wird bei Umstellung mit einem Warnhinweis gesichert, um bei einem versehentliches Switchen nicht einem Gehörschaden zu erliegen.
Die Klangfarben:
Solid State
Tube Classic
Tube Modern
Im Solid State-Modus läuft der Signalpfad auf „üblichem“ Wege einzig über Transistoren. Die Elektronenröhren bleiben hiermit kalt. Der Sound ist unglaublich sauber und sehr gut aufgelöst. Digitaltechnische Perfektion würde ich gar behaupten. Allein dieser Klang würde den Kauf rechtfertigen, ist aber nicht ganz das Besondere, was man sich mit dem N3-Ultra erhofft.
Die große Magie entsteht beim Wechsel auf den Tube Classic Mode. Es erscheint eine Nachricht auf dem Display, dass die Röhren kurz aufgewärmt werden müssen, die zwei seitlichen Fenster am Player beginnen zu leuchten und nach wenigen Sekunden erfolgt der Switch. Der Sound ändert sich recht flagrant zum Transistorklang und ist nicht bloß ein Gimmick. Der Fokus verschiebt sich mehr auf die mittleren Frequenzbereiche, diese werden förmlich herausgearbeitet und Stimmen erhalten eine natürliche Präsentation zurück, die im ganzen technisch-perfekten Zeitalter zu oft verloren geht. Transienten gewinnen nun zusätzlich harmonische Obertöne, die man auch leicht wahrnehmen kann. Alles bekommt Glanz, ein wundervolles Funkeln. Dem Röhrensound wird ja gern mehr Wärme nachgesagt. Beim N3-Ultra bedeutet es jedoch nicht, dass der Sound Hochtonenergie verliert. Im Gegenteil, verschiebt sich die Abstimmung in einen leicht helleren Klang, da der tiefe Bassbereich an Autorität verliert. Transienten büßen auch etwas Dynamik ein. Dieses Timbre ist dadurch nur bedingt für basslastige Musik geeignet. Stimmenlastige Musik oder Klassik allerdings, werden zu einem wahrer Genuss! Die Klangbühne ist im Tube Classic am weitesten vom Kopf entfernt. Alles ist perfekt separiert und Sounds schweben bei geeigneter Aufnahme 360° um den Hörenden herum. Der 3,5mm-Ausgang macht hier schon eine exzellente Figur, der 4,4mm-Out ist aber nochmal ein anderes Level bilde ich mir ein.
Die Klangcharakteristik des Tube Modern Timbre geriert sich zu einer Intersektion der zwei vorangestellten Modi. Der Glanz geht etwas zurück, der Bass bekommt wieder Druck auf den Kessel, die Klangbühne rutscht mehr ans Ohr. Perfekt für mein favorisiertes Musikgenre. Hiermit macht Elektronische Musik so richtig Laune und es darf sicherlich die Frage aufkommen, ob scheppernder Techno überhaupt so fantastisch klingen sollte. Ganz klares „Ja!“ von mir. Diese Klangfarbe tönt aus meiner Sicht dem Solid State Timbre ein Stück näher als dem Tube Classic Mode. So, als ob dem Transistorklang mehr Leben eingehaucht wird. Der wirkt im Vergleich dann doch zu flach, zu perfekt.
Was die drei Timbres vereint, ist dieser riesige Detailreichtum über das gesamte Frequenzspektrum. Einhergehend damit, beeindruckt mich der Stagediver SD-4 immer wieder aufs Neue, was mit diesem für eine Detailwiedergabe möglich ist. Das Ding ist ein akustisches Mikroskop. Preislich liegen der Inear-Kopfhörer wie auch der DAP im ungefähr gleichen Bereich (699,- und 649,-) und bilden ein stimmiges akustisches Gespann. Nichtsdestotrotz reizen mich die Edelteile von Campfire Audio schon eine Weile und ein zukünftiger Zugang aus diesem Hause bleibt ein selbst gestecktes Ziel.
Verdikt
Der Cayin N3-Ultra ist ein äußerst spannendes Gerät und es macht viel Freude mit den Klangfarben zu experimentieren. Mir ist es aber schon oft passiert, dass ich während des Testens einfach in die Musik vertieft abgedriftet bin, so sehr kann einen der Klang fesseln. Für weitere klangliche Feinabstimmungen bietet der DAP noch mehrere digitale Filter und eine beispielhafte Implementation eines PEQ (Parametrischer Equalizer), welcher mit speicherbaren Profilen aufwarten kann.
Und da sind wir auch wieder bei der ganz am Anfang gestellten Überlegung, warum man so ein scheinbar redundantes Gerät zusätzlich mit sich herumtragen mag. Weshalb sich die Extrakosten zumuten? Nun, weil ein guter DAP, mit viel Hingabe zum Detail und außergewöhnlicher Klangqualität, ein exklusives Hörerlebnis bietet. Die ganze Mühe, welche ich mir mit meinen Vinyl-Rips mache, das langwierige Abstimmen der ganzen Signalkette dazu, soll Sinn ergeben. Mir ist das wichtig. Mit einer hinreißenden Klangwiedergabe wird aus guter Musik -> grandiose Musik…
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