Plastikman

Den Auftakt der neuen Rubrik Let’s Talk About möchte ich der Musik eines Künstlers widmen, der mich seit meiner frühen Jugend begleitet und in seinem Schaffen oft außergewöhnliche musikalische Wege beschritt. Es geht um Richie Hawtin, oder konkreter, um sein Alter Ego Plastikman.

Das erste Mal Notiz nahm ich von Plastikman 1997 als der Titel Panikattack in der Hr3 Clubnight lief. (Damals hieß die Sendung noch so. Ab 2004 bis 2014 dann YOU FM Clubnight) Die Platte mit ihrer hypnotisierenden minimalistischen Machart stach sofort heraus und zog meine Aufmerksamkeit auf sich. „Was…ist….das!?“ – stellte ich mir selber fasziniert die Frage. Zur besseren Verständlichkeit sei erklärt, dass ich buchstäblich in der Provinz aufgewachsen bin. Subkulturelle Nischenmusik fand nur selten den Weg zu uns in den Ort. Wenn dann über Medien wie die Clubnight im hessischen Radio/Fernsehen oder die „Städter“-Freunde, die gelegentlich Tapes/CDs mitbrachten, welche man mit großer Dankbarkeit auf eigene Kassetten überspielen durfte.

Durch diese Form der Vervielfältigung erfuhr ich später auch wie der Track hieß und von wem er ist. Plastikman wurde zu einem Mysterium für mich. Ich hatte damals ja nahezu null Möglichkeiten der Recherche und so blieb Panikattack ein paar Jahre der einzige Track den ich von ihm kannte.

Was ich damals nicht ahnte, wie umtriebig doch besagter Künstler bereits zu dieser Zeit war…

Richard „Richie“ Michael Hawtin, geboren 1970 in England. Siedelte mit seinen Eltern im Alter von 11 Jahren nach Kanada um. In der Nähe zur Grenze zu den USA. Auf den regelmäßigen Transit über die Grenze, wenn es auf Party ging, bezieht er sich später mit dem Titel „The Tunnel“. Seine erste DJ Residency hatte er bereits mit 17 Jahren im Detroiter Club „Shelter“. 1990 begann er zudem unter den Pseudonymen State of Mind und FUSE Tracks zu veröffentlichen. 1993 startete dann das Projekt Plastikman.

Auf Plastikman bezogen beschreibt sich sein Musikstil kurz mit den Worten: Acid, Minimal, Techno, Ambient und Experimental. Allerdings werde ich darauf noch genauer eingehen.

Mir war Acid House/Techno auch vor der Entdeckung von Plastikman schon ein Begriff. Den 1995 erschienene Track „Don’t Laugh“ unter Josh Winks Pseudonym Winx kannte ich bereits und verstand auch grob, dass das ungewöhnliche Gezwitscher wohl was damit zu tun hat. Auch Hawtin machte regen Gebrauch des TB-303 Bass-Synthesizer von der Firma Roland. Er nutzte das Gerät aber wesentlich meditativer mit langen und ruhigen Läufen, die an Walgesänge erinnern. Als ein Beispiel dafür das wunderbare Stück „Pakard“ vom 1998 veröffentlichten Album „Artifakt (BC)“.

Weil gerade diese hypnotischen Acid-Verläufe mir so sehr gefallen, ist diese LP mit Titeln wie „Korridor“, „Psyk“ , „Are Friends Electric?“ und eben „Pakard“ eines meiner Lieblingsalben von ihm. Diese Nummern sind so wunderbar unaufgeregt und entspannend. Auch die Länge der Stücke mit gern mal mehr als 10 Minuten finden bei mir einen dankbaren Hörer.

Dieser Musikstil war auf den ersten Alben von Plastikman immer eine Seite der Medaille, die andere Seite ergänzten extrem perkussive, in ihrer Machart aber minimalistische Techno Tracks. Als Beispiel dafür sei der hektische Klassiker „Spastik“ von 1993 genannt oder eben „Panikattack“.

Nach „Artifakts“ kamen die Acid Elemente dann allerdings kaum noch zum Einsatz. Dazu muss man auch erwähnen, dass der große Hype um die 303-Sounds ’98 lange verebbt war. Bereits Mitte der 1990er war der charakteristische Klang durch einen kompletten Overkill kaum noch gefragt. Nichtsdestotrotz gibt es den Kult um das silberne kleine Gerät auch heutzutage noch. Auf dem 2003 erschienen Album „Closer“ sucht man diese allerdings vergeblich. Warum er davon Abstand nahm weiß ich nicht. Sicher wollte Plastikman sich nicht wiederholen und neue Sachen probieren. Denn, sind wir mal ehrlich, allzu viel Abwechslung lässt sich mit dieser reduzierten Art der Musikproduktion nicht generieren. Erst 2010 auf der EP „Slinky“ werden mit einem anderen Produktionsstil diese Klänge wieder Einzug halten.

Hawtin wurde noch experimenteller. Mein zweites Lieblingsalbum von ihm „Closer“ zeigt das deutlich. Bereits der Opener „Ask Yourself“ zeigt den Wandel und ist für mich ein absolutes Meisterwerk. Der Titel baut sich sehr langsam auf – rhythmische Elemente setzen erst nach 4.30 Min. ein. Den Rahmen setzen düstere Basslines und Flächen begleitet von einer befremdlichen aber auch bedrohlich wirkenden Stimme. Die gesprochenen Passagen personifizieren die innere Stimme eines Unbekannten der anscheinend Rat/Hilfe bei dieser gesucht hat. Dokumentieren quasi ihre Sicht. Ich finde diese Idee großartig!

Ob die Einnahme von bewusstseinserweiternden Drogen bei der Konzeption von Plastikman eine Rolle gespielt hat darf sicherlich mit ja beantwortet werden. Ich glaube auch mich an ein Interview mit Richie Hawtin erinnern zu können, wo er sich damit auf die Frage bezog, was er eigentlich mit Plastik meint. Er begründete das mit seiner veränderten optischen Wahrnehmung unter dem Einfluss von LSD.

2014 kam der bislang letzte Longplayer unter dem Pseudonym Plastikman auf den Markt. Es heißt kurz „EX“ und wurde mit einer ersten Plastikman-Tournee überhaupt begleitet. Die Acid-Elemente sind nun wieder reichlich vertreten. Dafür haben die Tracks im Vergleich zu den alten Produktionen mehr Tempo – sind tanzbarer. Dieser Schritt war aus meiner Sicht notwendig im Kontext einer Tournee.

Neben Hawtins Projekt Plastikman war er parallel vielen weiteren Werken zugetan. Ein paar besonders aufwendige davon möchte ich noch erwähnen.

Unter „Concept 1“ veröffentlichte er 1996 ein Jahr lang jeden Monat eine EP mit jeweils zwei Tracks. in Summe also 12 EPs mit 24 Titeln. Die EPs wurden mit den Zahlen des jeweiligen Monats betitelt. (Der Mai war z.Bsp. die 05:96) Die Tracks wurden mit der Tageszeit nummerisch benannt und symbolisieren somit 24 Stunden. Bei Sammlern sind diese Scheiben sehr begehrt. Ich könnte mir die Kollektion auch gut in meinem Plattenregal vorstellen, nur schreckt mich der Preis dafür ab. Für eine Near Mint LP-Box mit allen 12 Platten legt man schon mal mindestens 350€ hin. Autsch!

1998 kamen als Remix noch die mit „Concept 1 – 96:VR“ betitelten Brinkmann Variationen hinzu. Diese gefallen mir sogar besser als die ursprünglichen Versionen, weil sie noch experimenteller sind. Der Künstler Thomas Brinkmann hat die Vinyl Scheiben der „Concept 1“ Reihe über ein eigens kreiertes Abspielverfahren neu aufgenommen. Dabei trennte er den linken und rechten Audiokanal zeitlich so voneinander, dass komplett neue Rhythmen entstanden.

Ebenfalls Erwähnung soll Hawtins „DE9“-Reihe finden. Bei der er jeweils aus über 100 Tracks mehrere hundert Loops gewann und diese zu neuen Stücken wieder verwob. Aus dieser Reihe möchte ich das Werk „DE9|Transitions“ hervorheben. Als Bonus bekommt man hier nämlich noch einen mehrkanaligen 5.1 Mix dessen dazu (inklusive Video) und kann diesen somit über ein Heimkinosystem mit Dolby-Digital-Funktion abspielen. Dadurch, dass die einzelnen Spuren nun jeweils aus einer anderen Ecke des Raumes auf den Hörer zu kommen, entsteht eine neue interessante Wahrnehmung der Stücke, die zu einem ganzen Mix von 75 Minuten Länge arrangiert sind.

Es gäbe noch so viel zu diesem umtriebigen Künstler zu schreiben. Die für mich wichtigen Punkte sind aber niedergeschrieben. Wer mehr wissen möchte findet im Netz reichlich Lektüre und vor allem Musik.

Als Reminiszenz an die geilen Acid-Tracks von Plastikman musste mein KFZ-Kennzeichen herhalten. In diesem Sinne… 🙂

attix Verfasst von:

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