Reality Check mit Beyerdynamic DT 1770 und 1990 PRO

Nun war es soweit. Während eines Gesprächs mit meiner Frau hielt ich meinen AKG Q701 Referenz-Kopfhörer in der Hand und stellte überraschend fest, dass das Kopfband keine Spannung mehr hat. Mein geliebter Kopfhörer gibt nach nur drei Jahren auf. Damit erklärte sich auch, warum ich in letzter Zeit so eine Art Ticks entwickelt hatte. Ich war unbewusst ständig dazu genötigt gewesen den Kopfhörer auf meinem Schädel hoch zuschieben. Mal mit der rechten Hand, mal mit beiden oder auch ganz affig mit den Schultern, weil ich mich sonst unwohl fühlte mit dem Sitz. Etwas Schuld gebe ich mir an dem frühen schlapp machen des Kopfbandes auch. Der Kopfhörerständer, auf dem der AKG ruht, hat den Prozess wohl beschleunigt. Da ein schnelles DIY-Tauschen das Bandes nicht so einfach möglich ist und ich jetzt auch keine Unkosten dafür ausgeben wollte, musste also ein neues Paar her. Da der Nachfolger, der K712 von AKG, auch diese Kopfbandkonstruktion besitzt, schied er von Anfang aus.

Ich brauchte nicht lange überlegen um auf die neuen Studiohörer von Beyerdynamic zu kommen. Sie waren ehrlich gesagt meine erste Wahl. Die Beyer sind für ihre Langlebigkeit bekannt. So orderte ich also den DT 1770 Pro zusammen mit dem DT 1990 Pro. Das lag auch daran, dass ich in der Vergangenheit bereits die Vorgängermodelle DT 770 Pro und DT 990 Pro der Firma aus Heilbronn besaß.

Beyerdynamic DT 1770 Pro

Er kommt in einer, für meine Begriffe, vollkommen ausreichenden Verpackung daher. Ein schnörkelloser Umkarton aus Pappe verpackt ein robustes Hardcase in dem sich der Kopfhörer befindet. Finde ich klasse, da man den Kopfhörer so prima in einem Koffer verstauen kann ohne Angst haben zu müssen, dass er auf Reisen Schaden nimmt. Ebenfalls mit im Hardcase in einem separaten Täschlein befinden sich zwei Anschlusskabel. Das ist auch gleich die erste nennenswerte Verbesserung zum Vorgänger. Das Kabel ist endlich abnehmbar. Zur Wahl stehen ein gerades Kabel und das, nicht nur von mir, ungeliebte Spiralkabel des 770 Pro. Die Entscheidung fiel mir also nicht schwer. Der Anschluss ist ein Mini-XLR.

Der Tragekomfort ist einem besserem Halt ein kleines Stück gewichen. Bei mir drückt da glücklicherweise nichts. Ich bin da allerdings auch kein extremer Softie. Besaß schließlich mal einen HiFiMAN HE-4. Einem Freund gefiel der Anpressdruck weniger, erst als er seine Brille abnahm, war er zufrieden. Solche Befindlichkeiten müssen sich sicher eine Zeit lang eintragen. Aber so frisch aus der Box ist das nichts für jedermann. Besagter Freund brachte zum Vergleich seine DT 770 und 990 Pro in der ebenfalls 250Ohm Ausführung mit.

Der Klang. Da scheiden sich nun die Geister. Wie eigtl. immer. Er ist ein geschlossener Kopfhörer und somit nicht unbedingt meine Präferenz. Er überraschte mich dennoch mit einer sehr schönen Bühne. Pluspunkt! Auflösungsseitig ist er auch richtig gut. Hörbar besser als das Vorgängermodell. Stimmen kommen gut zur Geltung allerdings ein gutes Stück zu warm. Also zu bassig. Damit wären wir auch gleich bei einem ganz wichtigen Punkt. Der 1770er hat Bass und davon sehr viel. Ich höre nun viel basslastige, moderne Musik. Da prügelt einem teilweise der Bass ganz schön um die Ohren! Meistens ist es einfach zuviel. Hinzukommt, dass der Bass auch nicht gerade der straffste ist. Und so kommt man ins Grübeln, warum ein so erfahrener renommierter Kopfhörerhersteller sowas als Studiokopfhörer entwirft. Dabei gelangt man zu der Erkenntnis, dass das ein Kopfhörer für Drummer ist. Logisch, der will sein Schlagzeug vordergründig hören. Die Analogie dazu ergab sich mir beim Hinzuziehen des StageDiver SD3. Der ja auch so eine Abstimmung hat und für den Bühnenschlagzeuger entwickelt wurde. Sicherlich gibt es einige Leute, die so auch ihre Musik hören wollen. Die will ich hier nicht unterschlagen. Für mich ist das aber nichts. Ich habe es durchaus ein paar Tage lang probiert.

Beyerdynamic DT 1990 Pro

Da die Verpackung und der Tragekomfort nahezu identisch sind mit dem 1770 Pro spare ich die Wiederholung dessen. Vielleicht eins, zwei Worte zum Design. Das finde ich beim 1990er richtig gelungen! Sehr hübsch. Ich muss aber auch erwähnen, dass es für mich absolut irrelevant ist und nicht in die Beurteilung einfließt. Meine Ohren interessieren sich schließlich nicht dafür, wie ein Kopfhörer aussieht.

Somit gleich zum Klang. Hier begann das Ringen. Erstmal zur Bühne denn die ist klasse. Nicht zu groß und auch nicht zu intim. Wirkt durch die offene Bauweise sehr luftig und realistisch. 8/10 würde ich auf meiner imaginären Skala geben. Das ganze Klangbild hat für mich einen recht hellen Charakter. Ich hatte mal eine Zeit lang Field Recordings gemacht u.a. mit Stimmen meiner Familie und da entlarvt sich das immer recht schnell für mich. Ich weiß einfach wie die Stimmen klingen, da ich sie täglich höre. Die Auflösung ist auch sehr gut! Also wirklich, was da alles für Details in der Musik zum Vorschein kommen ist beeindruckend. Da hilft sicherlich auch die Betonung in den Höhen etwas mit. Nun zu den schwierigen Themen. Als erstes die Basswiedergabe. Die ist für mich eigenartig. Während der Kickbass-Bereich so von 60Hz-100Hz deutlich zu erkennen ist, ist der Subbass-Bereich, also unter 50Hz kaum wahrnehmbar. Da helfen auch die zwei unterschiedlichen Ohrpolstersorten nichts. Es gibt einmal die „Analytics“ und zum anderen die „Balanced“. Den ausbalancierten wird etwas mehr Bass attestiert. Aber all zuviel Unterschied gegenüber den analytischen Ohrpolstern höre ich nicht und sollte man auch nicht erwarten. Ich mache nun hin und wieder auch elektronische Musik und der Subbass-Bereich ist mir wichtig. Mit diesem Kopfhörer ist es mir nicht möglich diesen zu beurteilen. Ich würde ihn stets zu fett mischen. So klingen Tracks mit einem straffen Kick wie ich sie kenne wohingegen Kicks mit längerem Decay oder gar Subbass-Sequenzen blutleer klingen. Längeres Hören mit dem 1990 pro wirkt sehr anstrengend durch die Betonung der Höhen. Meine Ohren machen da nach kurzer Zeit zu. Auch hier stellt sich mir die Frage, für wen der Studiokopfhörer gedacht ist. Sicherlich nicht um damit moderne oder gar elektronische Musik zu hören. Er ist ein Werkzeug! Dem sollte man sich bewusst sein. Genau wie der geschlossene Bruder ist der 1990er zur Beurteilung konzipiert worden. Damit hörst du jedes unerwünschte Detail im Mix und kannst ggfs. im Studio reagieren. Da sehe ich ihn. Das musste ich aber erst begreifen. Das mein Exemplar dann leider noch eine Kanalungleichheit in der Lautstärke aufwies machte den Gesamteindruck nicht besser. Denn eigtl. machten beide Kopfhörer einen sauber verarbeiteten und robusten Eindruck. Das bekräftigte dann nochmal den Entschluss den 1990er zu retournieren.

Auch hier gilt die Devise, was dem einen nicht gefällt, gefällt durchaus jemand anderem. Keine Frage. Der weiter oben erwähnte Freund attestierte dem DT 1990 Pro gar eine dunkle Klangcharakteristik. Er ist aber auch ein paar Jährchen älter als ich. Dennoch, so unterschiedlich können Beurteilungen von Kopfhörern ausfallen. Zur Vollständigkeit seien noch die ledernen Ohrpolster im Zubehör des DT 1770 Pro erwähnt, die ich aber nicht getestet habe. Ich mag sowas nun einfach nicht.

attix Verfasst von:

9 Kommentare

  1. 30. April 2018
    Antworten

    Sehr schön zu lesen, wie immer. Ich bin jedes Mal aufs Neue beeindruckt welche Attribute man der Akustik zuschreiben kann, gefällt mir! Herzliche Grüße, dein fast tauber, aber dafür sehr sehender Freund.

  2. Ronnie
    12. April 2019
    Antworten

    Vielen Dank!

    Endlich ein Test, der nicht die üblichen, uneingeschränkten Lobeshymnen auf beide Modelle singt, sondern die jeweiligen Klangcharakteristika herausarbeitet. Ich habe aktuell beide Kopfhörer zu Hause und sehe sie ähnlich kritisch. Neutral und linear abgestimmt sind beide nicht – insofern stelle ich mir die Frage, inwiefern sie tatsächlich für die professionelle Abmischung im Studio geeignet sind.

    Hier der DT 1990, der neben dem höheren Tragekomfort aufgrund des niedrigeren Anpressdrucks auch eine bessere Auflösung und Räumlichkeit bietet. Dafür muss man aber mit sehr scharfen Höhen und eher schlanken Bässen leben.

    Dort der DT 1770, der es mit den Bässen etwas zu gut meint, aber dafür mit nicht ganz so aggressiven Höhen punktet. Er bildet eine kleinere Bühne ab und sorgt für ein wenig Druck und Wärme um die Ohren.

    Beiden gemeinsam ist der große, starre Anschluss an der linken Hörmuschel, der im Schulterbereich durchaus störend sein kann.

    Um den Gesamteindruck aber wieder ins rechte Licht zu rücken: Abgesehen von diesen Kritikpunkten auf hohem Niveau handelt es sich um tolle Kopfhörer mit gutem Klang und hochwertiger Verarbeitung. Die Entscheidung für den einen oder anderen ist eine reine Geschmacksfrage.

    Gruß Ronnie

    • attix
      13. April 2019
      Antworten

      Danke für den ausführlichen Kommentar! Ja, dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

      Besten Gruß

  3. Spike
    6. August 2019
    Antworten

    Hast du beim 1770 auch mal die alternativen Pads betestet? Die klingen deutlich weniger basslastig!

    • attix
      6. August 2019
      Antworten

      Hallo Spike,

      die Antwort steht ganz unten im Artikel. Ich will mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, aber das lederne Ohrpolster weniger basslastig sein sollen als Polster aus Velours? Die Erfahrung habe ich persönlich noch nie gemacht.

      Viele Grüße

  4. 20. November 2019
    Antworten

    Hallo, kein Wort zu den Tauschpolstern mit unterschiedlicher Klangcharakteristik (analytik und baanced) des DT 1990.? Das wäre allerdings wichtig gewesen. Ganz klar, hiermit kann man sich den Hörer so einrichten wie man ihn braucht. Ich benutze ihn zu Hause für Hifi-Musikgenuß an einem Teac UD-H01. Traumhaft gut, ist meine Meinung.
    Wem die Abstimmung in der ein oder anderen Richtung nicht gefällt: Probiert doch mal die Polster zu mischen. Ich höre links mit balanced und rechts mit analytik). So klingt er genau richtig. Auch die Ohren hören nicht beide gleich. Wer auf einem Ohr weniger Höhen hört, kann dort mit analytik eine super Abstimmung erzielen. Ich würde den Hörer in der Kostellation mit meinem Teac nicht wieder hergeben. Dazu sagen muss ich, dass der Teac über hochwertige Straight Wire Digitalkabel von einem Micromega-CD-Player über AccuTrans-Digitalusgang gespeist wird. Der Hammer.

    • attix
      20. November 2019
      Antworten

      Hallo Norbert,

      zu den unterschiedlichen Ohrpolstern hatte ich im Artikel Bezug genommen.
      Der DT1990 ist für die richtigen Ohren ein außerordentlich guter Kopfhörer. Daran besteht von meiner Seite aus kein Zweifel. Ich sehe ihn allerdings, wie im Artikel beschrieben, eher als ein „Werkzeug“. Das es Leute gibt, die ihn zum Musikgenuss favorisieren hatte ich ja auch erwähnt. Das ist für mich auch überhaupt kein Widerspruch. Denn die Geschmäcker variieren selten so diffus wie bei Kopfhörern.

      Viele Grüße

  5. Schlappohr
    4. Dezember 2019
    Antworten

    Wenn ich Deine Ausführungen richtig verstanden habe, hat dich keiner der beiden Kopfhörer (weder der DT 1770pro noch der DT 1990pro) vollends überzeugen. – Ist das korrekt?
    Ich selbst stehe an einem ähnlichen Punkt, mit einem Unterschied. Bei mir sind die angesprochenen Gummi-Haltebändchen der AKGs K 712pro stark ausgeleiert, sodass sich die überdimensionierten (aber sehr komfotablen) Ohrpolster deutlich spürbar auf die Ohren legen und damit nach kurzer Zeit drücken.

    Da mir der offene Klang der AKGs mit deren Klangcharakteristik sehr zusagt würde ich mich gerne erkundigen ob Du auf deiner Suche nach einer Alternative für Deine AKGs noch weitere Modelle testen und eventuell empfehlen kannst.

    Vielen Dank und Grüße.

    • attix
      7. Dezember 2019
      Antworten

      Hallo Schlappohr. Ja, beide wurden damals retourniert. Meine Reise ging damals weiter über einen Sennheiser HD800 LINK und Beyerdynamic T5p 2nd Gen. LINK bis zum aktuellen Massdrop 58x Jubilee. Mit Empfehlungen für Kopfhörer ist es leider immer so eine Sache. Ich habe für mich festgestellt, dass ich mit Modellen von Sennheiser i.d.R. eher glücklicher werde. Vielleicht mal in die HD600, HD650, HD660er Richtung reinhören oder eben den bereit erwähnten 58x Jubilee. Der macht für den aufgerufenen Preis eine verdammt gute Figur.

      cheers

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