Präzisionsflanke: Shibata vs Gyger

Nein, hier werden heute weder Spielzüge im Fußball besprochen, noch Kriegsstrategien analysiert, oder die Alien-Filme rezensiert. Es geht viel mehr um Tonabnehmer für Plattenspieler hinsichtlich deren Nadelschliffe. Drei ausgezeichnete Vertreter dieser Rillenläufer werde ich gegenüberstellen und genauer beleuchten. Die Kontrahenten: #1 Ortofon VinylMaster Silver, #2 Goldring 1042 und #3 Audio-Technica AT-VM95SH. Da ich die genannten Systeme besitze, sie sich recht ähneln und zudem feststellte, dass mein letzter Artikel zum Goldring 1042 hier am meisten gelesen wird, kam die Überlegung zu dem Vergleich auf. Also schauen wir uns mal detailliert die Unterschiede im Schliff an und ob sich das klanglich widerspiegelt.

Als Disclaimer: Ich bin kein Experte für Nadelsysteme. Meine Erkenntnisse beruhen auf Recherchen im Netz, Literatur und meinem eigenen Erforschen.

Ortofon VinylMaster Silver
Goldring 1042
Audio-Technica AT-VM95SH

Technische Daten

Zuerst gleich mal die Kuh vom Eis – die technischen Daten. Ich habe eine Tabelle erstellt, in der man die Unterschiede der einzelnen Segmente leicht vergleichen kann. Vieles ähnelt sich, es gibt jedoch auch deutliche Abweichungen. Jeder dieser Tonabnehmer z.B. besitzt einen anderen Schliff. Das lauteste System kommt hier von Goldring, das leiseste aus dem Hause Ortofon. Auch die Last- oder Abschlusskapazität ist beim VM Silver doppelt so hoch angegeben wie die des AT-VM95SH. Der auffälligste Unterschied ist sicherlich der Preis. Für den des VinylMasters bekommt man 2,5x das Audio-Technica. Ob es aber auch 2,5x so gut klingt? Das hören wir uns weiter unten an.

Der Edelstein und sein Schliff

Wie bereits erwähnt haben wir hier drei diverse Schliffarten. Zwar handelt es sich alles um Line-Contact Schliffe, doch sind zwei nach Fritz Gyger gefertigt und eine Abtastnadel besitzt den japanischen Shibata-Schliff. Die ausladenste große Nadelverrundung weiß der Diamant des Goldring 1042 vorzuweisen. Da wird die komplette Rillenbreite von links nach rechts abgedeckt. Daraus resultieren beeindruckende Flanken. Diese sollen eine möglichst große Kontaktlinie der Rilleninnenseite von oben nach unten Richtung Rillengrund abtasten, dabei aber scharf wie eine Skalpellklinge (kleine Nadelverrundung) sein. Also, lange Flanken/große Kontaktfläche in der Länge und diese sehr schmal, um so ein Maximum an Information beim Abtasten zu gewinnen. Wir reden hier von einer kleinen Nadelverrundung um die 5-8 µm. Somit kann verzerrungsfreier zur Plattenmitte hin abgetastet werden. Die Gyger-Nadeln ähneln stark einem Schneidstichel in der Schallplattenherstellung. Die Shibata-Nadel ist an der Spitze etwas runder als die Gyger-Schliffe. Damit soll das absinken auf den Rillenboden reduziert werden. Denn dort findet sich im ungünstigsten Fall nur noch Schmutz, der das Klangerlebnis trübt.

Auf den unteren Bildern kann man schön erkennen, wie rein der Diamant des Audio-Technica Tonabnehmers ist. Allerdings sei auch erwähnt, dass die Nadel neu bei der Ankunft bereits leicht verdreckt war. Die Verpackung machte auf mich nicht den Eindruck, bereits geöffnet gewesen zu sein. Die Verschmutzung entstand somit wohl beim Herstellungsprozess. Auf dem letzten Foto kann man die Krumen gut erkennen. Diese ließen sich rückstandslos mit einer Reinigungsflüssigkeit entfernen.

Auf den Bildern des Mikroskops wirken die Nadeln so groß. In Wirklichkeit kann ich die des AT-VM95SH mit dem bloßen Auge nur noch erahnen. Der Hersteller gibt eine Länge von 2,7 mm und eine Breite von 0,26 mm an. Von der Länge des Diamant ist allerdings nur noch die Hälfte sichtbar. Wenn überhaupt. Der Rest ist in dem Nadelträger verbunden. Die Nadel ist einfach so unfassbar klein! Die diffizile Bearbeitung dieser winzigen Diamanten macht am Ende den Preis. Je aufwändiger der Schliff um so mehr muss man dafür bezahlen. Dieses meisterhafte Handwerk beherrschen nur wenige. Diejenigen, die dies realisieren können, sog. Nadelschleifer, sind hauptsächlich in Japan ansässig. Sie produzieren selbst keine fertigen Systeme, sondern nur die Nadeln samt Träger und beliefern die Hersteller von Tonabnehmern wie Ortofon oder Audio-Technica. Natürlich gibt es noch viel mehr Nadeltypen als die hier vorgestellten drei. Von den einfachen getippten konischen Nadeln, über elliptische bis hin zu van den Hul, sowie andere Line-Contact Schliffe.

Ortofon VinylMaster Silver

Goldring 1042

Audio-Technica AT-VM95SH

Dirty AT-VM95SH-Nadel

Klangwiedergabe

Soviel zum Aufbau. Kommen wir nun zu dem Part, wofür die Nadelsysteme gedacht sind – zur Musikwiedergabe. Variiert denn nun der Klangeindruck durch die diversen Schliffe? Da sich das ohne akustischen Bezug immer schwer beschreiben lässt, zumal jeder ein anderes Hörempfinden hat, sowie Adjektive semantisch anders gewichtet, habe ich ein Vergleichsvideo erstellt. Somit kann sich jeder ein eigenes Bild machen.

Die Tonabnehmer waren allesamt sauber und optimal nach Herstellerangaben justiert. Die Aufnahmen jener wurden anschließend nur normalisiert um eine einheitliche Lautstärke zu bekommen. Die verwendete Audiokette: Technics sl1200MK7 / GramAmp 2 Communicator / Fireface 800 / PC mit Audacity. Leider verschluckt die YouTube-Kompression Details, man kann aber trotzdem ganz gut Unterschiede hören.

Dem Shibata-Schliff wird etwas mehr Wärme nachgesagt und das kann ich hier im direkten Vergleich auch hören. Das Goldring-System hat die meiste Hochtonenergie und ist näher am VinylMaster als am Audio-Technica-System. Der Ortofon-Tonabnehmer ist der „Vocal King“. Die Stimmen kommen super artikuliert und freigestellt rüber. Lauryn steht plötzlich vor einem im Raum. Allerdings schwächelt es in den ganz tiefen Subfrequenzen. Da drücken die beiden anderen einen Ticken mehr. Das Shibata-System klingt auch weniger hart als das VM Silver. Irgendwie entspannter/runder.

Sicherlich lassen sich die Unterschiede im Klang nicht nur am Nadelschliff festmachen. Es ist dennoch spannend zu hören, dass sich die Gyger-Schliffe doch mehr ähneln, im Kontrast zum Shibata. Auch gibt es für mich kein besser oder schlechter. Die Tonabnehmer tönen meiner Meinung nach alle drei vorzüglich. Es ist daher pragmatisch betrachtet nur eine Frage des Geschmacks und vielleicht hilft das Geschriebene hier dem ein oder anderen…

Das Copyright der Herstellerlogos und des Songs der Fugees „Ready Or Not“ liegt bei den rechtmäßigen Urhebern.

attix Verfasst von:

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